"Neue Presse" - Januar 2003

Sanierung wurde zum Albtraum

Höchst. Eigentlich war Tülay Salur guter Dinge gewesen. Die Innengestaltung ihres neuerworbenen Hauses Albanusstraße 1 – laut Denkmaltopographie „ein schlichtes Wohnhaus des 19. Jahrhunderts“ – hatte sie zügig vorangetrieben, mit viel Schwung, Kreativität und Elan war sie 1997 an die Sache herangegangen. Im Erdgeschoss ihr Friseurgeschäft, in den drei Stockwerken darüber eine offene Wohnung, denn die Grundfläche des Hauses misst nur 57 Quadratmeter. Als Abschluss sollte eine Dachterrasse das neue Domizil krönen. Doch damit ging der Ärger erst richtig los.

Denn die Terrasse rief die Bürgerverreinigung Höchster Altstadt auf den Plan, die Hans-Günter Hallfahrt vom Denkmalamt alarmiert. Denn für die Albanusstaße 1 gilt der so genannte Ensembleschutz. Veränderungen sind nur dann zulässig, wenn sie das Erscheinungsbild des Hauses nicht verändern. Denkmalpfleger Hallfahrt setzte sich mit der Bauherrin in Verbindung und nahm das Haus in Augenschein. Schnell wurde ihm klar, dass hier mehr im Argen lag als nur die Dachterrasse, für die es keine Genehmigung gab und die wieder zurückgebaut werden musste. Das Haus war marode – eine umfangreiche fachgerechte Sanierung war vonnöten. Auf Empfehlung von Hallfahrt nahm Restaurator und Zimmermeister Ingo Hoss aus Kriftel dem Problem an – oder um genau zu sein: den Problemen. Denn so ziemlich alles, was an einem Fachwerkhaus marode sein kann, war es in diesem Fall auch. „Ich bin seit 20 Jahren in der Denkmalpflege tätig, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen“, sagt Hoss. Hallfahrt pflichtet bei: Wir kamen von einer Überraschung zur nächsten“.

Beim Freilegen des Gefaches wurde an einer Stelle ein Pilz entdeckt, der dort bestimmt schon seit 30 Jahren wuchert, wie Ingo Hoss erklärt. Als an einer anderen Stelle der Betonputz abgeschlagen wurde, drohte das Haus zusammenzukrachen. Die Balken des konstruktiven Fachwerkes waren so verfault, dass die Fassade nur noch vom Putz gehalten wurde. Zudem Ärger mit der Bausubstanz kam der Ärger mit dem städtischen Bauamt. Strenge Auflagen, die bei einem Denkmal gar nicht eingehalten werden können, seien gestellt worden. „Da ist einiges schief gelaufen“, sagt Hallfahrt. Zehn Zentimeter höher als die Traufhöhe eines Stadthauses sein dürfte, ist die des Hauses in der Albanusstraße. Grund genug für das Bauamt, das Haus als Hochhaus einzustufen und entsprechende Brandschutzauflagen zu verlangen. Die Situation eskalierte, als das Bauamt im August 2000 das Haus mit dem Friseurladen im Erdgeschoss schließen wollte – wegen Mängel in der Statik und beim Brandschutz.

Angesichts der sich häufenden Rechnungen, der wachsenden Schulden, den immer neuen Auflagen und der unsicheren Zukunft war Tülay Salur der Verzweiflung nahe. Die allein erziehende Mutter fühlte sich von den Ämter im Stich gelassen, zudem hatte ihr erster Architekt sie nicht gut beraten gehabt. Tülay salur war überfordert: „Ich bin Anfang 30 und verstehe nur etwas von Haaren“, sagt die Friseurin heute und hat ihren Humor mittlerweile wiedergefunden. Einen Anteil daran hat auch, dass die Handwerker Verständnis für die Lage der Frau aufbrachten und ihr Zeit lassen, die Rechnungen zu begleichen. Vor allem lässt sich das Ergebnis des fachgerecht sanierten Hauses sehen: Passanten und Kunden bewundern nicht nur die rote Fassade und die blauen Ränder um die Fenster, sie stauen auch über die freigelegten Balken im Geschäft, zwischen denen Stroh dekorativ hervorschauet. „Es ist besser geworden als gedacht“, gibt Wolfgang Weber, Vorsitzender der Bürgervereinigung Höchster Altstadt, unumwunden zu, und auch Hans-Günter Hallfahrt ist froh, dass die Geschichte einen glücklichen Ausgang genommen hat. Und was denkt die bauherrin? Auf die Frage, ob das Fachwerkhaus jetzt ihr Traumhaus oder ihr Albtraumhaus ist, antwortet Tülay Salur nach kurzem Nachdenken: „Beides“. Boris Schöppner