Bericht der FAZ - Januar 2003

Wenn ein Fachwerkhäuschen zum Hochhaus wird

Die wohl abenteuerlichste Sanierung in der Höchster Altstadt / Schlaflose Nächte ohne Fenster

„So einen verrückten Fall hab’ ich in 15 Berufsjahren bisher noch nicht gehabt“, sagte Restaurator Ingo Hoss und wirft einen bedauernden Blick auf Tülay Salur. Die junge Frisörmeisterin hatte 1997 ihr kleines Fachwerkhaus in der Höchster Altstadt gekauft und war mit Mut an die Herrichtung ihres Eigentum gegangen. In den beiden jeweils 50 Quadratmeter großen oberen Etagen wollte sie es sich gemütlich einrichten, und im Erdgeschoss sollte der Frisiersalon entstehen. Dass ihr Projekt auch fünf Jahre später noch nicht verwirklicht sein würde, hat sie nicht ahnen können. Hätte ihr zu diesem Zeitpunkt jemand prophezeit, dass ihr Häuschen während der Sanierung um ein Haar eingestürzt wäre und die Bauaufsicht wegen nicht genehmigter Umbauten mit der Räumung und Schließung drohen würde, dann hätte sie den Kaufvertrag, wie sie heute sagt, nicht einmal unterschrieben, wenn ihr das Haus geschenkt worden wäre.

Doch – sie hat es gekauft. Der Vorbesitzer hatte auch den nicht unerheblichen Wasserschaden in der früheren Boutique gar nicht verschwiegen. Um ihr Misstrauen zu zerstreunen, gab es neben den Beteuerungen der Harmlosigkeit des Schadens auch das Gutachten eines Ingenieurbüros, das den ordentlichen zustand des Hauses bescheinigte. „Das habe ich natürlich nicht in Frage gestellt“, sagt die Frisörin, die heute zugibt, ein wenig gutgläubig an ihr Vorhaben herangegangen zu sein. Von Denkmalschutz, hatte sie zuvor ebenso wenig gehört wie von der Ortgestaltungssatzung, mit der das Höchster Stadtbild und sein reiches Fachwerk-Erbe von der Verschandelung bewahrt werden sollen. Salur engagierte also einen Offenbacher Architekten und beauftragte ihn mit den Umbauarbeiten. Bald schon sollte sich herausstellen, dass sie mit dem Mann an ein „schwarzes Schaf“ der Zunft geraten war. So war es ihm zwar gelungen, für das Projekt eine Baugenehmigung zu bekommen. An die den Behörden vorgelegten Pläne hat er sich dann jedoch nicht gehalten. 1999 fiel den bei Sanierungen stets argwöhnischen Beobachtern der Bürgervereinigung Höchster Altstadt auf, dass das Walmdach nicht nur repariert, sondern zugunsten einer Dachterrasse zu zwei Dritteln beseitigt worden war: ein Fall für die Bauaufsicht und das Denkmalamt.

Wolfgang Weber, der Vorsitzende der Bürgervereinigung, kann die Dreistigkeit des Architekten nur mit dessen Einschätzung erklären, die eigenmächtige Änderung der Baupläne werde ohnehin niemandem auffallen. Möglicherweise hatte er auch geplant, die Höchster schnell vor vollendete Tatsachen zu stellen, die anschließend dann doch niemand rückgängig machen werde. Doch weit gefehlt. Bald stand die Bauaufsichtsbehörde mit dem Räumungsbescheid für das Objekt Albanusstraße 1 vor der Tür, und für Tülay Salur brach eine Welt zusammen. Es folgte eine Phase, die Konservator Hans-Günter Hallfahrt vom Denkmalamt als eine Zeit des „Durcheinanders und der enormen Aufgeregtheiten“ bezeichnet. Da flossen Tränen der Eigentümerin, deren Ersparnisse in zweijähriger Bautätigkeit verzehrt worden waren, und da wurde nicht zu knapp geflucht angesichts der jahrelangen Untätigkeit der Ämter, die nun im nachhinein den Rückbau des Hauses in den früheren Zustand forderten.

In dieser Situation bemühte sich Hallfahrt erfolgreich zu schlichten, er vermittelte Salur den erfahrenen Restaurator Hoss, der zunächst einmal eine gründliche Bauuntersuchung vornahm und dann mit einem schlüssigem Sanierungskonzept bei der Bauaufsicht die Räumung der Hauses verhinderte. Für die Frisörin war dies von existentieller Bedeutung, denn nun konnte sie in ihren Salon weiterhin Geld verdienen. Das sie dann auch reichlich Brauchte, um den letzten Abschnitt der Bauarbeiten zu finanzieren.

Die Denkmalgerechte Sanierung sollte nämlich viel teurer kommen als geplant. Nicht allein, dass das Walmdach wieder rekonstruiert werden musste. Als der Fassadenputz entfernt wurde, offenbarte sich den Handwerkern Hallfahrt zufolge „eine Katastrophe“. Die rückwärtige Wand des Hauses war vom Pilz zerfressen und nur noch von der sechs Zentimeter starken Mörtelschicht zusammengehalten worden. Kaum war sie abgeschlagen, wölbte sich die Konstruktion plötzlich bedrohlich nach innen. „Es besteht akute Einsturzgefahr“, so Hoss. Nach der Notsicherung der Außenwand hat Hoss an dieser Stelle das Werk nicht mehr rekonstruiert, sondern die Fassade schnell massiv aufgemauert.

Salur hat im vergangenem Sommer schlaflose Nächte in ihrem Haus verbracht. Wach gehalten hatte die gar nicht einmal die Aufregung um ihr Baustelle. Doch hatte sie wochenlang in einem Schlafzimmer übernachtet, dessen Fensteröffnungen nur mit Planen verhängt waren. Jederzeit hätten sich ungebetene Besucher über das Gerüst Zutritt verschaffen können. Mittlerweile sind die Bauarbeiten weitgehend abgeschlossen. Es fehlen noch die umfangreichen Brandschutzeinrichtungen, die von den Behörden gefördert werden. Ganz erheblich sind die Auflagen, denn Salurs Haus ist nicht als Wohnung eingestuft worden, sondern als Hochhaus: Die Traufhöhe des kleinen Gebäudes liegt 9,20 Meter über der Straße, die Kategorie Wohnhaus endet jedoch bei neun Meter.

Daraus ergeben sich für den Fachwerkbau aberwitzige Konsequenzen, so müssen in dem Häuschen nun zehn Brandmelder, zwei Gasmelder und zehn Feuerlöscher installiert werden. Und weil im Falle eines Brandes die Feuerwehr nicht mit ihrem Leiterwagen vor dem „Hochhaus“ vorfahren kann, musste die „Anleiterbarkeit“ gewährleistet werden: Im Dachgeschoß wurde ein Notausstieg eingebaut, von dem aus die Frisörin im Falle eines Falles die an der Fassade angestellte Feuerwehrleiter erreichen kann.

All diese Auflagen und die aufwendige Sanierung haben die Eigentümerin an die Grenzen ihrer finanziellen Belastbarkeit geführt, sie hat sich stark verschulden müssen. Immerhin hat ihr das Denkmalamt einen Zuschuß zu den Kosten gewährt. Dankbarer zeigt sich die Frisörin jedoch gegenüber den Handwerkern, die das ganze Malheur und die Not der jungen Frau lange begleitet haben. Sie sind ihr hinsichtlich der Zahlungsfristen außerordentlich großzügig entgegengekommen. Versöhnt zeigt sie sich mittlerweile auch gegenüber den Behörden und der Bürgervereinigung. Aus der früheren „Bruchbude“ ist mittlerweile ein stolzes Altstadthäuschen geworden, „vor dem viele stehen bleiben und freudig staunen“. Franz Wegener